Freitag, der 7. Mai 2021, war ein historischer Termin, denn an diesem Tag fand das erste Kunstwerk seinen Platz im Museum Reinhard Ernst. Wir dokumentieren das Ereignis in Bildern und beantworten Fragen, die uns dazu erreicht haben.
Um welches Kunstwerk handelt es sich?
Die zweiteilige Arbeit trägt den Titel „Pair“ und stammt vom 72-jährigen Künstler Tony Cragg. Die beiden Teile sind 6,50 Meter bzw. 6,20 Meter hoch und bestehen aus polierter Bronze. Im Sockelbereich weisen die Hohlkörper eine Wandstärke von ca. 12 Millimetern auf, im oberen Bereich ist sie ungefähr halb so dick. Als Datum für das abstrakte Kunstwerk ist 2019 angegeben, weil in diesem Jahr der Entwurf für die Arbeit entstand.
Warum wurde die Arbeit schon jetzt – lange vor Fertigstellung des Museumsgebäudes – aufgestellt?
„Pair“ ist so groß und so schwer, dass man das Kunstwerk nur zu diesem Zeitpunkt mit dem vorhandenen Baukran vom Lastwagen über das Museum heben und durch die unverglasten Öffnungen des Rohbaus in das Gebäude bewegen konnte. Dort wird es während der weiteren Bautätigkeit bis zur Museumseröffnung eingerüstet und vor Beschädigung geschützt.
Wie schwer ist das Kunstwerk?
Die Doppelskulptur wiegt rund vier Tonnen. Weil sie entstand, nachdem das Museumsgebäude schon fertig geplant war, mussten statische Neuberechnungen angestellt werden. Damit das schwere Kunstwerk nicht zu stark auf der Decke lastet, hat das Wiesbadener Unternehmen Huhle eine Sonderkonstruktion angefertigt: Nach oben gewölbte Stahlträger sorgen dafür, dass die darauf fixierten Bronzekörper ihr Gewicht nicht an die Decke, sondern an die Raumwände abgeben.
Was soll die Skulptur darstellen?
Als abstraktes Kunstwerk gibt „Pair“ keine Wirkung vor, sie entfaltet sich erst in der Vorstellung seiner Betrachterinnen und Betrachter. Die dynamischen Formen lösen sich von geometrischen Vorgaben und wirken organisch – wie übereinandergestapelte runde Scheiben. Was sie zeigen oder gedanklich auslösen sollen, bleibt offen.
Wer ist Tony Cragg?
Sir Tony Cragg, als Anthony Cragg 1949 in Liverpool geboren, ist ein bildender Künstler, der schon auf zahlreichen bedeutenden Ausstellungen vertreten war – z. B. der documenta 7 und 8 in Kassel sowie auf fünf Biennalen in Venedig, São Paulo und Sydney. Cragg studierte Kunst am Gloucestershire College of Art, der Wimbledon School of Art und am Royal College of Art in London. Während des Studiums verlagerte er sein Interesse vom Malerischen zum Plastischen. Nach dem Studium nahm er einen Lehrauftrag an der École des Beaux-Arts in Metz an. In diese Zeit fällt auch Craggs Umzug nach Wuppertal, wo er bis heute lebt. Von 1979 bis 2013 lehrte Tony Cragg an der Kunstakademie in Düsseldorf, 2009 folgte er Markus Lüpertz als deren Rektor. Seit 1994 ist er Mitglied an der Royal Academy of Arts in London und seit 2002 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Außerdem wurde er im selben Jahr in den Stand eines Commander of the British Empire (CBE) erhoben. 2016 erhielt er den Adelstitel „Knight Bachelor“, seitdem ist Tony Cragg ein „Sir“.
2006 erwarb der Bildhauer in Wuppertal einen 15 Hektar großen verwilderten Park mit der denkmalgeschützten Villa Waldfrieden, um hier den Skulpturenpark Waldfrieden aufzubauen. Um sich dem Projekt widmen zu können, gab er seine Professur an der Universität der Künste in Berlin (UdK) auf und wechselte an die Düsseldorfer Kunstakademie. Im September 2008 wurde der Skulpturenpark eröffnet. Er zeigt Werke von Tony Cragg und anderen internationalen Bildhauern sowie wechselnde Sonderausstellungen.
Wie konnte es gelingen, dass dieses Werk nach Wiesbaden kam?
Tony Cragg gilt als großer internationaler Künstler abstrakter Skulpturen und stand schon lange auf der Wunschliste des Sammlers Reinhard Ernst. Auf einer Auktion der Ketterer Kunst GmbH vor zwei Jahren erwarb Ernst die Holzskulptur „Willow II“. Markus Eisenbeis vom Auktionshaus van Ham, mit dem sich der Sammler über dieses Werk austauschte, stellte den ersten persönlichen Kontakt zwischen dem Künstler und Reinhard Ernst her. Der Museumsgründer kam auf die Idee, eine über zwei Etagen reichende und in vielen Sichtachsen gebündelte Nische im Wiesbadener Bau für die Aufstellung einer Skulptur zu nutzen. Bei Besuchen, die Reinhard Ernst mit seiner Frau zum Künstleratelier nach Düsseldorf unternahm, reifte diese Idee weiter – und mündete in Skizzen, die Tony Cragg für den Raum erstellte. Die Entwürfe gefielen auf Anhieb und wurden innerhalb von knapp zwei Jahren als Bronzeplastiken realisiert. Am 7. Mai lieferte ein Lastwagen das „Pair“ direkt aus der Kunstgießerei Kayser in Düsseldorf nach Wiesbaden. Weil es in der Nacht zuvor geregnet hatte und man die Skulptur-Teile nicht mit nasser Oberfläche einpacken wollte, schwebten sie zur Überraschung aller Beobachter unverpackt und goldglänzend durch den Wiesbadener Himmel.
In diesem Video zeigen wir Ihnen die Anlieferung des Kunstwerks:
In diesem Video aus dem Jahr 2020 lernen Sie Tony Cragg und seine Arbeit an der Skulptur besser kennen:
(Fotos: Frank Marburger/Klaus Helbig, Kevin Thill)