„Lassen Sie uns das internationale Kompetenzzentrum für abstrakte Kunst und ein gelungenes Beispiel für zeitgemäßes Museumsverständnis werden!“ Mit dieser Vision startete Dr. Oliver Kornhoff am 1. Dezember 2021 am Museum Reinhard Ernst (mre) in Wiesbaden. Selbstverständlich ist dies ein langfristiges Ziel, doch der neue Gründungsdirektor nahm seine Arbeit mit großem Elan und vielen Ideen für kleinere und größere Schritte im mre auf. Über allem stehen aber Werte, die ihn und das ganze Team leiten und motivieren. Werte, die das Museumsteam zu einem guten Gastgeber und das mre zu einem Ort hochkarätiger Kunst, der Begegnungen und des Austauschs machen. Werte, die den Besucherinnen und Besuchern Gemeinschaftserlebnisse bieten und ihnen das Gefühl eines „Zuhauses weg von Zuhause“ vermitteln. Werte, die für Qualität und hohe Standards stehen.
Lesen Sie in unserem Interview, was Dr. Kornhoff im Alltag beschäftigt, woran er mit seinem Team arbeitet und wie weit die ersten Ausstellungen vorbereitet sind.
Am 1. Dezember 2021 hieß es: „Endlich ist der neue Direktor da!“ Welche Aufgaben prasselten als erstes auf Sie ein?
Wenn ich ehrlich bin, kümmerte ich mich als erstes um guten Kaffee für alle. Denn damit starte nicht nur ich definitiv besser in den Tag. Aber Spaß beiseite: Ich hatte das Glück, dass Herr Ernst bereits mit sicherer Hand in unser Team investiert und kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt hatte. Jede und jeder war bereits im eigenen Verantwortungsbereich aktiv, und einige kannten die Entwicklungsschritte des mre sogar von Beginn an. Für mich gab es somit im Dezember zwei Baustellen: eine sichtbare an der Wilhelmstraße 1 und eine unsichtbare, bei der es Arbeitsstrukturen, Personalerweiterung, Vermittlungsangebote sowie den digitalen und analogen Auftritt voranzubringen galt. Ein Großteil meiner Energie fließt trotzdem und gottlob von Beginn an in die Kunst. Dazu später mehr.
Wie haben Sie sich in Wiesbaden eingelebt?
Die Stadt gefällt mir unglaublich gut. Ich schätze die vielen Parks und nutze die angrenzenden Wälder gerne zum Joggen. Ich empfinde die Stadt als fahrradfreundlich und genieße den daher schnellen Arbeitsweg. Gelegentlich brauche ich aber wohl doch ein E-Bike. Insgesamt empfinde ich eine hohe Lebensqualität in sämtlichen Bereichen. Ganz speziell positiv berührt hat mich das freundliche Willkommen der anderen Kultur-Institutionen. Die mir persönlich und als Direktor des mre entgegengebrachte Wertschätzung „made myself at home“. Ich freue mich auf all das, was wir mit unseren künftigen Partnerinnen und Partnern gemeinsam ausbaldowern werden!
Was schätzen Sie an Ihrem neuen Arbeitsplatz?
Das größte Privileg meiner neuen Stellung ist, dass ich aktiv gestalten und den Aufbau eines komplett neuen Kulturhauses entscheidend prägen darf. Das tun wir bald auch vor Ort. Denn wir freuen uns schon auf den Umzug in unsere Museumsbüros, in denen wir dann auch alle gemeinsam Platz finden. Vermutlich werden wir deutlich früher als die Kunst umziehen und unsere Schätze dann aus unseren Büros heraus an der Wilhelmstraße willkommen heißen können. Derzeit befindet sich mein Arbeitsplatz in einem Office Center. Das ist eine passende Aura. Um uns herum sitzen lauter innovative Unternehmen und kreative Start-ups. Das ist der gleiche Geist, den wir empfinden. Ein neues Museum kann und muss „out of the box“ denken und agieren, so dass wir agiles Arbeiten hinsichtlich räumlicher Arbeitssituation und im Kopf pflegen.
Wie zufrieden sind Sie mit den ersten einhundert Tagen?
Außerordentlich zufrieden! Das sage ich aus tiefstem Herzen. Es waren intensive einhundert Tage, in denen wir schon viel bewegt haben. Mit unserer Roadmap bis zur Eröffnung kann man ein ganzes Zimmer tapezieren. Dass wir auf diesem Fahrplan heute schon viel weiter sind, als ich zu hoffen gewagt habe, macht mich stolz und dankbar. Das ist ganz stark auch das Verdienst meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie reden nicht nur über Werte. Sie leben sie aus eigenem Antrieb und richten ihre Arbeit danach aus. Ein Museum ist ein Marathon. Ich bin sehr froh, ein Team um mich zu haben, bei dem wirklich alle in die gleiche Richtung laufen und sich gegenseitig unterstützen. Ob Golf, Yoga, Rennrad, Basketball, Jogging oder No-Sport – alle haben einen langen Atem, und es geht ihnen auch bei Zwischensprints die Puste nie aus.
Was macht Ihnen als Direktor am meisten Spaß?
Als Museumsdirektor bin ich primär und gerne Kulturmanager. Umso wichtiger ist es mir, auch Zeit für unmittelbare Kunsterlebnisse zu finden. Eine derart umfassende Sammlung wie die von Herrn Ernst muss man sich zu eigen machen. Das ist ein andauernder Prozess. Das Ziel ist, eine Vertrautheit mit den Beständen zu erreichen, so dass ich mich darin irgendwann so wohl fühle wie in einer Lieblingsjacke. Gemeinsam mit der Kuratorin tue ich das digital und besonders gerne während vieler Stunden im Sammlungsdepot. Lea Schäfer und ich erarbeiten, erträumen, verwerfen dabei auch die Sammlungspräsentation zur Eröffnung. 860 Werken zuzuhören und ihre zahllosen Geschichten zu derjenigen zu verbinden, die wir zum Museumsauftakt erzählen möchten, ist ein großes Privileg und eine Herkulesaufgabe. Ein unvergesslicher Tag war derjenige, als wir mit unseren ersten Ideen vor Ort im Museumsbau waren und wir die Gemälde in Gedanken an die noch betonrohen Wände gehängt haben.
Welche speziellen Herausforderungen stehen aktuell für Sie und Ihr Team an?
Das Schöne und Besondere am mre ist, dass es viel mehr ist als „nur“ ein Museum. Es ist ein Kulturhaus mit öffentlichem Forum, Kunst am Bau, einem Kreativraum, Eventbereich, Bistro, Shop etc. Unser Ziel ist es, eine Willkommenskultur zu schaffen, die für jede und jeden einen Anlass bietet, uns zu besuchen. Das Wichtige ist dabei immer, dass wir die einzelnen Bereiche nicht separat voneinander behandeln. Dabei an wirklich alles zu denken, ist immens fordernd.
Sie waren zwölf Jahre der Direktor eines staatlichen Museums. Unterscheiden sich die Aufgaben in einem Privatmuseum von Ihren bisherigen?
Tatsächlich sind die kurzen Entscheidungswege und der direkte Draht zum Stifter eine neue Situation für mich. Dass in oft nur einer Sitzung diskutiert, argumentiert und schlussendlich auch direkt entschieden werden kann, erlaubt mir, zügig Themen voranzutreiben und produktiv zu arbeiten.
Warum sprechen Sie im Zusammenhang mit dem mre auch von einem Programm-Museum?
Unser Programm ist die Abstraktion. Das ist die Liebe des Sammlers und das Profil der Sammlung Reinhard Ernst. Diese klare Fokussierung haben nur ganz wenige Museen in der Welt.
Trägerin des mre ist die Reinhard und Sonja Ernst-Stiftung, deren Ziel es ist, junge Menschen an die abstrakte Kunst heranzuführen. Was meinen Sie, wenn Sie in dem Zusammenhang von „der Verschränkung von digitaler und analoger Ansprache“ sprechen?
Ein ganz zentrales Anliegen des mre ist es, in den Erlebnis- und Wahrnehmungsgewohnheiten unserer Zeit vorzukommen. Unsere Kunstwerke sind maximal siebzig Jahre alt. Sie entspringen also einer Zeit, die noch ganz nah an unserer Gegenwart ist. Das macht die Kunst superaktuell. Unser musealer Markenkern ist die Aura des Originals. Diese kann man ausschließlich vor Ort erfahren, und sie wird sich nie digital reproduzieren lassen. Es ist von immensem Reiz, in genau diesem Bewusstsein die digitalen Möglichkeiten fruchtbar zu machen. In unserem Kreativraum verbinden wir die digitale Welt mit den Originalen aus unserem Museum. Wir wollen nicht nur Schulklassen, Kinder und Jugendliche mit dieser etwas anderen Art der Kunstvermittlung überraschen. Ich bin sicher, wir werden viel Lachen aus dem Kreativraum hören. Selbstverständlich dürfen auch Erwachsene diesen Raum nutzen und mieten – das Lachen inklusive.
Bald steht die Eröffnung an – können Sie schon ein paar Pläne verraten? Worauf können sich die Besucherinnen und Besucher freuen?
Aus der Sammlung Reinhard Ernst sind bis jetzt nur wenige Werke gezeigt worden, und so umgibt sie etwas Geheimnisvolles. Zur Premiere öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick auf etwa achtzig Gemälde und Skulpturen frei. Erstmals werden derart viele Schätze im Zusammenhang zu genießen sein. Und das ist erst ein kleiner Teil der Sammlung. Die Neugierde und die Vorfreude auf künftige Enthüllungen bleiben also hoch. Dazu kommen noch hochkarätige Kunst am Ort – Werke, die derzeit speziell für das Museum entstehen. Ein einzigartiges Erlebnis verspricht auch die perfekte Symbiose von Architektur und bildender Kunst. Der Architekt Fumihiko Maki hat bei der Planung der Räume gewisse Bilder und Skulpturen aus der Sammlung im Kopf gehabt, und so verschmilzt das Gebäude in Zukunft optimal mit den großformatigen Werken. Alleine oder mit unserem Mediaguide werden unsere Gäste im mre gleichzeitig Kunst am Bau, Baukunst und Kunst im Bau erleben dürfen – Staunen garantiert.
Übrigens gibt es in wenigen Monaten bereits einen kleinen Vorgeschmack auf unsere zweite Premierenpräsentation. Auf den Flächen für Sonderausstellungen werden wir anlässlich unserer Eröffnung das Schaffen von Fumihiko Maki vorstellen – seine erste Museumsausstellung weltweit. Schon im Mai 2022 wird das Architektur-Forum Aedes in Berlin eine kleine Werkschau zu Fumihiko Maki ausrichten. Das Museum Reinhard Ernst und seine baukünstlerische Genese stehen dabei im Mittelpunkt. Ein Teil dieser Präsentation wird zur Museumseröffnung auch in Wiesbaden zu sehen sein.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine Budget-Frage. Der Stifter Reinhard Ernst übernimmt neben den Bau- auch die jährlichen Betriebskosten. Somit werden Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit keinem Euro belastet. Was bedeutet das für die mre-Jahreskalkulation?
Das bedeutet ganz konkret, dass einige Bereiche des Museums andere unterstützen müssen. Wir sind ein Privatmuseum, das keinerlei Zuschüsse erhält. Gleichzeitig hat der Stifter festgelegt, dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre kostenlos das Museum besuchen dürfen. Vormittags ist das Museum ausschließlich für Schulklassen geöffnet. Zudem ist das mre Forum, also der gesamte Erdgeschossbereich um das gläserne Atrium, für alle zugänglich, ohne Eintritt bezahlen zu müssen. Um diese außergewöhnlichen Angebote machen zu können, brauchen wir Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die unser Engagement für die Nahbarkeit von Kunst und Kultur teilen. Gemeinsam mit dem zahlenden Publikum, Sponsoren, Interessenten an kunstvollen Geschenken oder Partnerinnen und Partnern, die beispielsweise unseren Veranstaltungsraum für geschäftliche oder private Events mieten, wollen wir die Balance hinbekommen. Hier agieren wir kommerziell-exklusiv, so dass wir gemeinsam an anderer Stelle gratis-inklusiv sein können. Es ist eine große Freude zu erleben, dass das diesbezügliche Interesse groß ist und unsere Weggefährtinnen und -gefährten so Teil des mre werden. More to come.