16.11.2023

Baustellenbericht November 2023: Treppenkunst im mre

Dass man dem Studium von Treppen ein ganzes Berufsleben widmen kann, zeigt der Erfinder der „Scalalogie“, Friedrich Mielke (1921–2018): Der Pionier der europäischen Treppenforschung veröffentlichte 30 Bücher zum Thema, legte 15.000 Ordner über Stufen, Stiegen, und Freitreppen in der ganzen Welt an und verfügte über eine Galerie von 35.000 – richtig – Fotos von Treppen. Außerdem nannte er eine beträchtliche Sammlung von Treppen-Modellen sein Eigen sowie unzählige Abbildungen und Zeichnungen von Details. Die Scalalogie, so ist auf der Seite des Friedrich-Mielke-Instituts an der OTH Regensburg nachzulesen, ist die Wissenschaft von den Eigenarten und Wirkungen der Treppen. „Die Vielfalt in Form, Technik und Nutzung zu erkunden und den gegenwärtigen Konstrukteuren von Treppen darzubieten, ist Aufgabe der Scalalogie“, heißt es hier. Wir fragen uns, was Friedrich Mielke wohl zu den Aufgängen im Museum Reinhard Ernst (mre) gesagt hätte.

In Fumihiko Makis Werk spielen sie eine zentrale Rolle: „In meinen Kindheitserinnerungen haben Treppen immer einen lebhaften Eindruck auf mich gemacht. Wir erleben Architektur oft im Maßstabsvergleich mit dem eigenen Körper. Eine Treppe kann Menschen durch den Akt des Hinauf- oder Hinunterschauens in Vorfreude versetzen, da sie ein bequemes Mittel ist, um einen herrlichen Ausblick zu bieten“, so der 95-jährige Architekt.

Zwei beeindruckende Treppenanlagen verbinden das Erdgeschoss mit dem ersten Obergeschoss und, um 90 Grad versetzt, das erste mit dem zweiten Obergeschoss. Die Entwürfe des Architekturbüros Maki and Associates wurden von der Wiesbadener Firma Huhle Stahl- und Metallbau ausgeführt. Hier fällt zunächst ihre Dimension auf – die Länge der äußeren Treppenwangen beträgt 20 Meter. In diese Konstruktion wurde das Glas als Absturzsicherung eingespannt. Innenliegend führt ein eleganter Edelstahlhandlauf mit Edelstahlpfosten. Die Haupttreppe besteht aus Stahl; sie ist grundiert und mehrfach beschichtet. Die einzelnen Stufen wurden aus gekantetem Stahlblech gefertigt, die Trittfläche wurde mit Parkett belegt.

Die 20 Meter langen Treppenwangen wurden an einem Stück gefertigt. (Foto: Klaus Helbig/Frank Marburger)

„Eine Treppe mit solchen Maßen ist immer anspruchsvoll“, sagt Heiko Klein, Projektleiter bei der Firma Huhle. „Die Herausforderung besteht darin, dass die Treppe aus vielen kleinen Bauteilen zusammengebaut und geschweißt wird. Hierbei ist auf den Verzug beim Schweißen durch Hitze zu achten, da man sonst keine geraden Flächen bekommt.“ Die Treppen wurden an einem Stück gefertigt, um die Toleranzen einzuhalten. Dies sei in der Fertigungswerkstatt viel einfacher als auf einer Baustelle, so Heiko Klein. Das Treppenkunstwerk wurde nachts ins Museum gebracht: „Der Transport musste in den Abendstunden stattfinden, da eine Straßensperre benötigt wurde. Auch ein Kran kam zum Einsatz, der die 5,2 Tonnen schweren Treppen in das Gebäude gehoben hat. Innerhalb des Gebäudes wurden die Treppen auf Schwerlastrollen montiert und an Ort und Stelle gebracht.“

Vom Foyer ins Untergeschoss, wo sich die Garderoben und Sanitäreinrichtungen befinden, führt eine ebenfalls auffallende Treppenkonstruktion. Sie erinnert an eine hängende Voliere. Heiko Klein: „Das Besondere an dieser Treppe ist das Treppenauge. Hierbei sind Zugstäbe aus Rundstahl an der Treppenaußenkante angebracht, um die Lasten abzutragen. Zusätzlich wurden in den Podestbereichen Befestigungen an den Wänden angebracht.“ Die Treppe und die einzelnen Zugstäbe seien bereits im Rohbau eingebaut worden, erklärt Heiko Klein. Der Aufbau erfolgte von unten nach oben. Die Stufen der Stahltreppe ist mit Naturstein belegt.

„In vielen Gebäuden, gleichgültig ob groß oder klein, ist es nicht ungewöhnlich, dass Treppen und Treppenhäuser als Kernelemente des Gesamtraums behandelt werden, die mehr als nur den Zugang von einer Ebene zur nächsten ermöglichen“, sagt der Architekt Gary Kamemoto, Nachfolger von Fumihiko Maki und Leiter des Architekturbüros Maki and Associates. „Ihre Form, ihre Details und ihre Materialität bieten die Möglichkeit, besondere Erfahrungen mit wechselnden Szenerien zu machen und gleichzeitig ein skulpturales Element zu werden, das der Architektur Charakter verleiht.“

Ob als Forschungsobjekt, als Skulptur oder als wesentlicher Bestandteil der Museumsarchitektur: Wir sind gespannt darauf, wie Sie die Treppen im Museum Reinhard Ernst wahrnehmen werden.

Diese auffallende Treppenkonstruktion führt ins Untergeschoss des mre. (Foto: Dekubanowski/mre)