30.09.2020

Bauarbeiten, Stand 30.9.2020

Jasmin Veigel (38) stellt als Projektleiterin in der Objektüberwachung den ordnungsgemäßen Fortschritt auf der Baustelle des Museums Reinhard Ernst sicher. Die diplomierte Innenarchitektin ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Frankfurter Unternehmen Schneider + Schumacher, das u. a. den Westhafen Tower (wegen seiner Apfelweinglas-Struktur auch „Geripptes“ genannt) sowie den unterirdischen Erweiterungsbau des Städel entworfen und realisiert hat. Wir treffen Frau Veigel zu einem Interview an ihrem Einsatzort.

Alles im Blick: Jasmin Veigel beschreibt auf dem Containerdach die Entwicklungen auf „ihrer“ Baustelle.

Guten Morgen, Frau Veigel, wie gehen die Bauarbeiten voran?

Bestens. Wir liegen aktuell sowohl im Zeit- als auch im Kostenplan.

Hat sich die Corona-Krise nachteilig auf den Baufortschritt ausgewirkt?

Nein, eher im Gegenteil. Viele Bauarbeiter, die während der Rohbauphase bei uns tätig sind, stammen aus Osteuropa. Eine mögliche Quarantäne durch einen Urlaub in der Heimat wollten sie nicht riskieren, sondern stattdessen lieber arbeiten. Deswegen sind wir hier eigentlich immer voll besetzt. Natürlich werden dennoch Ruhezeiten und seit der Pandemie alle zusätzlichen Hygieneregeln beachtet.

Covid-19 bereitete hier also bislang keine Probleme?

Selbstverständlich muss man sich der Situation anpassen. Unsere Abstimmung mit dem Entwurfsbüro von Fumihiko Maki in Tokio läuft beispielsweise komplett über Video oder Mail, denn die Mitarbeiter des japanischen Büros konnten seit dem Ausbruch der Viruspandemie und möglichen Quarantäne-Einschränkungen bislang nicht nach Wiesbaden reisen. So wollte Michel van Ackere, der die Gestaltung des Museumsbaus betreut, eigentlich die Fassadenbemusterung hier vor Ort abnehmen. Profile und Glasscheiben mussten besprochen werden, vor allem war dabei auch die Glasfarbe wichtig. Das wurde dann über Fotos abgestimmt. Auch die Natursteinfassade wird mit dem japanischen Büro Maki über die Entfernung abgeklärt, in Japan kennt man natürlich die ausgewählten Materialien genau, und man kümmert sich dort um jedes Detail – bis hin zum Türgriff.

Wo stehen wir aktuell?

Die Hälfte der Rohbauphase ist abgeschlossen. Während vorne an der Wilhelmstraße gerade die Deckenelemente des Erdgeschosses fertiggestellt werden, laufen im hinteren Teil bereits die Arbeiten am ersten Obergeschoss. Es wird von Montag bis Samstag ganzer Einsatz geleistet, viel geschieht parallel. Wir gehen davon aus, dass der gesamte Rohbau wie geplant im Februar 2021 steht. Von den insgesamt neun Leistungsphasen, die so ein Gebäude durchläuft, befinden wir uns gerade zeitgleich in den Phasen 5 bis 8 – Ausführungsplanung, Ausschreibung, Vergabe und Objektüberwachung.

Was genau gehört zu Ihren Aufgaben?

Gemeinsam mit meinen Kollegen organisiere ich die Abläufe. Wir stimmen Termine ab, überwachen die Kosten, klären Schnittstellen zwischen den verschiedenen Gewerken ab, dokumentieren den Bauprozess. Es sind ja viele Dienstleister beteiligt – Statiker, Haustechnik-, Licht- und Außenanlagenplaner, um nur wenige zu nennen. Jeden Dienstag findet im Container-Konferenzraum eine große Baubesprechung statt. Dort unterhalten wir uns über alle anstehenden Maßnahmen der Woche. Während des Innenausbaus wird die Runde der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesen Meetings noch wachsen. Und natürlich sind auch Herausforderungen zu lösen, denn kein Bau läuft ohne Konflikte ab. Aber die Stimmung auf der Baustelle ist gut, alle arbeiten engagiert und respektvoll zusammen. Immerhin verbringt man ja viele Monate gemeinsam an diesem Ort, deswegen ist eine gute zwischenmenschliche Atmosphäre wichtig.
Unser Unternehmen entwickelt die Details im Sinne der Entwurfsarchitekten in Japan. Da in Deutschland die Vorschriften in mancher Hinsicht anders sind als in Japan, müssen wir alle Ideen auf ihre Durchführbarkeit überprüfen. Die Zusammenarbeit mit Behörden, Versorgern oder Feuerwehr wäre aus Asien – vor allem in Corona-Zeiten – nur schwer zu steuern, daher hat der Bauherr Schneider + Schumacher damit betraut.

Ist der Bauherr auch häufig vor Ort?

Reinhard Ernst kommt eigentlich jeden Tag auf die Baustelle, um nach dem Rechten zu sehen. Er dreht hier seine Runden und spricht uns regelmäßig an, wenn er Rückfragen hat. Herr Ernst ist ein anspruchsvoller Bauherr. Man merkt, dass er bereits an einigen Neubauten beteiligt war und über viel Grundwissen verfügt.

Haben Sie selbst schon Erfahrung beim Bau von Museen sammeln können?

Als Bauleiterin bin ich schon seit acht Jahren tätig. Zuletzt durfte ich den Neubau des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt betreuen, das vom Architekten Christoph Mäckler entworfen wurde. Mein Kollege war bei der Erweiterung des Jüdischen Museums am Museumsufer der Mainmetropole beteiligt, dieses haben Staab Architekten in Berlin gestaltet.

Was zeichnet aus Ihrer Sicht die Architektur des neuen Museums in Wiesbaden aus?

Sie ist sehr geradlinig, bietet eine tolle Linienführung. Fluchten und Treppen verlaufen so, dass sich für die Besucherinnen und Besucher viele spannende Blickbezüge ergeben werden – zum Beispiel können sie vom Eingangsbereich bis ins Obergeschoss schauen. Fumihiko Maki ist dafür bekannt, ein besonderes Raumgefühl zu inszenieren. Die Museumsgänger werden einige Aha-Erlebnisse haben, wenn sie das Museum besuchen. Dabei drängt sich die Architektur nicht auf, sondern nimmt sich gerade in den Ausstellungsräumen zugunsten der Kunst sehr zurück. Alles am Museum ist in der Verarbeitung sehr hochwertig. Hervorzuheben ist auch die komplexe Statik. Wenige Wände stehen innen übereinander, Lasten müssen teilweise über eine große Strecke verteilt werden. Trotz der Menge an verarbeitetem Stahl und Beton wirkt die Architektur sehr leicht. Auch die Decke über dem Museumscafé an der Wilhelmstraße scheint zu schweben.

Schwarze Kunststoffkugeln warten auf ihren Einsatz in den „Bubble“-Decken.

Bei den Baumaterialien haben wir Gestelle mit vielen schwarzen Bällen gesehen. Was hat es damit auf sich?

Diese schwarzen Kugeln bestehen aus Kunststoff. Sie werden in Schalungen und Bewehrungen eingelegt, dann wird betoniert. So ergeben sich Hohlräume, die dazu führen, dass das Eigengewicht der Decken nicht zu groß wird. Mit solchen sogenannten Bubble-Decken, die auch bei der Elbphilharmonie zum Einsatz kamen, lassen sich bis zu 190 Liter Beton und über 450 Kilogramm Last pro Quadratmeter einsparen. Wir können auf diese Weise größere Deckenflächen ohne Stützen einziehen.

Freuen Sie sich schon auf die Kunst in diesem Museum?

Ich muss gestehen, dass ich bislang noch keinen persönlichen Zugang zu abstrakter Kunst gefunden habe. Mich interessiert eher gegenständliche, traditionelle Kunst. Aber ich bin sehr gespannt auf das Kunsterlebnis in diesem Museum und freue mich schon sehr darauf, durch das fertiggestellte Gebäude zu spazieren! Ein Kunstobjekt werde ich aber schon lange vor der offiziellen Eröffnung bewundern können.

Was meinen Sie damit?

Für das Obergeschoss ist die Präsentation einer Bronzeskulptur von Tony Cragg geplant. Und die ist so groß und so schwer, dass sie mit einem Kran noch vor Fertigstellung des Museums in das Gebäude gehievt werden muss! [Anmerkung der Onlineredaktion: Zum Kunstwerk finden Sie hier weitere Informationen.]

Liebe Frau Veigel, vielen Dank für das Gespräch!